Am 10. Oktober 2009 hat der SPD-Landesparteitag einen Beschluss zur Kitafplicht gefasst. Darin heißt es: „Die Mitglieder der SPD-Fraktionen des Bundestages und der Länderparlamente werden aufgefordert, eine Initiative mit dem Ziel der Einführung einer gebührenfreien Kitapflicht zu starten.“

Wir hatten und haben sehr gute Gründe für unsere Haltung. Denn in Berlin gibt es eine gespaltene Kindheit: Manche Kinder werden früh gefördert, erhalten Musik- und Sprachunterricht schon als Kleinkinder. Andere kennen von zuhause nur den Fernseher. Jedes dritte Kind in Berlin lebt in einem Hartz-IV-Haushalt. Fast 40 Prozent der Kinder, die heute eingeschult werden, haben einen Migrationshintergrund, Tendenz steigend. Diese Kinder sind unsere Kinder, sie sind in Berliner Krankenhäusern geboren, auch sie werden für den Wohlstand der Stadt gebraucht. Nun hat nicht jedes Kind mit Migrationshintergrund Sprach- oder andere Leistungsdefizite. Ganz sicher bieten die meisten Eltern aus Hartz-IV-Haushalten ihren Kindern eine behütete und glückliche Kindheit. Nicht jedes Kind mit Ballett- oder Musikunterricht hat problemlose Bildungswege vor sich. Aber ein Teil all dieser Kinder bleibt auf der Strecke. Die Tragödie verbirgt sich hinter einer simplen Zahl: Noch immer verlassen fast zehn Prozent der Jugendlichen die Schule ohne einen Schulabschluss. Der zweite Teil der Tragödie ist: Je ärmer die Eltern, desto schlechter sind die Bildungschancen. Das steht nach wie vor in jeder neuen Bildungsstudie – auch und gerade in Berlin.

Eine Ursache dafür ist die zu späte Förderung. Zwei Drittel aller Kinder, die nie die Kita besucht haben, kommen mit Sprachdefiziten in die Schule. Nach zwei Jahren Kita-Besuch sind es nur 19 Prozent. Die Sprachdefizite – auch von deutschen Kindern – sind dabei nur der auffälligste Aspekt. Für das Sozialverhalten, die Motorik bis hin zur Konzentrationsfähigkeit ist die Kita eine wichtige Bildungsstätte. Kein Zweifel: Ohne Kitabesuch sind Nachteile in der Schule sehr wahrscheinlich. Kein Bildungsforscher, keine Partei, kein Journalist bestreitet heute noch die Notwendigkeit der frühkindlichen Bildung für das gesamte weitere Leben der Kinder. Übrigens bestreitet auch niemand, dass Berlin (wie viele Großstädte) vor gewaltigen sozialen Veränderungen steht und ein ernsthaftes Problem mit der sozialen Integration haben wird. Aber wie gehen wir mit diesem gesellschaftlichen Konsens um, was leiten wir aus diesem einhelligen Befund konkret ab?

Seit 2009 ist viel passiert. Wir haben die Gebührenfreiheit der letzten drei Kitajahre umgesetzt und bereits im aktuellen Doppelhaushalt 2012/13 ist es uns gelungen, das Kita-Ausbau-Programm so zu finanzieren, dass echte Fortschritte erreicht werden. Jeden Monat entstehen in Berlin neue Kitaplätze.

Nach Diskussionen mit dem Landeselternausschuss Kita, mit dem Dachverband der Kinder- und Schülerläden, einzelnen Trägern und dem Berliner Familienbeirat habe ich jetzt einen breit angelegten Dialog zur frühkindlichen Bildung gestartet. Zum ersten Mal kam die etwa 20köpfige Runde aus SPD-Politikern und Akteuren der Kita-Landschaft bei einem nicht öffentlichen Treffen im Abgeordnetenhaus am 23. Oktober zusammen. Dabei wurde hart das Für und Wider einer Kitapflicht diskutiert. Wir als SPD-Fraktion sind die Befürworter einer Kitapflicht und meinen, dass alle Instrumente ausgeschöpft sind und trotzdem genau die Kinder nicht zu Kita kommen, die es aus sozialen Gründen am meisten bräuchten. Die Kritiker der Pflicht glauben, diese würde die Einstellung der Eltern zur Kita zum Negative verändern. Um alle Kinder, vor allem die bildungsfernen Kinder, zu erreichen, brauche man mehr Qualität und mehr Kitaplätze.

Ein erstes Ergebnis haben wir aber schon vor der Diskussion erreicht: Die verbindliche Sprachstandsfeststellung wird von 4,5 Jahre auf 4 Jahre vorgezogen. Werden Sprachdefizite festgestellt, besteht für die betroffenen Kinder schon heute eine Kitapflicht – diese setzt nun früher ein, was ein erheblicher Fortschritt sein wird. Zugleich wird der Senat nun Bußgelder verhängen, wenn Eltern ihre Kinder nicht zur Sprachstandsfeststellung bringen.

Das zeigt: Die Diskussion um eine Kitapflicht hat die Bildungsdebatte schon heute vom Kopf auf die Füße gestellt. Statt über besseren Geigenunterricht für Professorenkinder spricht Berlin jetzt über die abgehängten Kinder, die zu wenig Förderung erhalten. Die Kitaträger sehen sich – das war eine interessante Beobachtung – nun in der Pflicht zum Nachweis: Was tut ihr für die Kinder aus sozial schwachen Familien? Deshalb halte ich den Kitadialog schon jetzt für sinnvoll. Im Dialog zur frühkindlichen Bildung werde ich Kompromisse machen müssen, wie so oft in der Politik. Am Ende darf es nicht um Überschriften und Begrifflichkeiten gehen, sondern um das Ziel, die frühkindliche Bildung zu verbessern. Bei aller Offenheit sage ich aber eines ganz deutlich: Ich möchte, dass wir kein Kind in unserer Gesellschaft zurücklassen. Über Instrumente kann man reden, aber das Ziel muss erreicht werden.

Dialog zu frühkindlicher Bildung – Wir lassen kein Kind zurück