Plötzlich ist alles still. Der Bus mit sechzehn Jugendlichen und erwachsenen Begleitern – unter ihnen der SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh – ist in Oświęcim angekommen. Der erfahrene Leiter der Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz, Burkhard Zimmermann, erklärt einige Dinge über das Busmikrofon und zeigt auf die Schienen, über die die hunderttausende Menschen in das Konzentrationslager Auschwitz transportiert wurden. Man hört kein Murmeln mehr, niemand redet, alle sind still.
Die Jugendgruppe des Vereins „Stark ohne Gewalt“, die sich zur Auschwitzfahrt entschlossen hat, stellt einen guten Queerschnitt der Berliner Jugend dar. Etwa zwei Drittel haben einen Migrationshintergrund – und auch die deutschen Großeltern sind oft erst nach dem Krieg geboren. Diese Jugendlichen besichtigen nun den Raum, in dem hinter Glas auf einer Front von zwanzig Metern in die Höhe gestapelte Haare von ermordeten Häftlingen zu sehen sind; Berge von Kinderschuhen; hunderte Koffer, auf denen die Häftlinge vor ihrem Weg in die Gaskammern ihre Namen schreiben sollten, weil ihnen gesagt wurde, dass sie sie zurückbekommen würden. Nach der Besichtigung des Stammlagers besucht die Gruppe Birkenau. Die Dimensionen des Vernichtungslagers sind überwältigend. Der Guide schildert die grausamen Lebensbedingungen und das menschenverachtende Konzept der Vernichtung durch Arbeit genauso wie den Weg in die Gaskammern. Mindestens 1,1 Millionen Menschen aus ganz Europa sind in Auschwitz ums Leben gekommen, die meisten von ihnen waren Juden. Die Führung durch Birkenau dauert über zwei Stunden, die meiste Zeit im Freien, bei tiefen Minusgraden. Die Jugendlichen lernen, dass die Häftlinge nur dünne Kleidung hatten und die Baracken meist nicht geheizt waren. Am Eingang hat Burkhard Zimmermann Rosen verteilt, die die Jugendlichen im Lager zum Gedenken niederlegen.
Man sieht eine neue Generation, die das Gedenken an den Holocaust fortführt und sich der deutschen Verantwortung stellt. „Es geht nicht um Schuld“, sagt Raed Saleh. „Ich möchte, dass auch meine Generation und die meiner Kinder das Gedenken fortsetzt. Das ist die beste Medizin gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit.“