Am 18. und 19. Dezember 2012 habe ich mit dem Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky Rotterdam besucht. Die Stadt ist für ihren großen Hafen und ihre lange Migrationsgeschichte bekannt – die Hälfte der Rotterdamer Bevölkerung hat ausländische Wurzeln. „Wir wollen mit Augen und Ohren Konzepte stehlen“, sagte Heinz Buschkowsky, und wirklich: Wir haben bei unserem Besuch viel gelernt.Heinz Buschkowsky, Ahmed Aboutaleb, Raed Saleh

Zunnächst trafen wir auf den Stadtmarinier Rien van der Steenoven. Stadtmariniers gibt es in Rotterdam seit zehn Jahren. Sie sind so etwas wie Ordnungshüter und Kiezlobbyisten in einer Person für besonders gefährdete Stadtteile. Unterstellt sind sie direkt dem Rotterdamer Bürgermeister

Jeden Tag und oft nachts kann man sie auf der Straße treffen, wenn sie dort anpacken, wo es nötig ist – ob es eine verwahrloste Ecke ist, ein Kriminalitätsschwerpunkt oder ein aggressives Klima im bunten Partytreiben. Stadtmariniers haben ein eigenes Budget und arbeiten über Zuständigkeitsgrenzen hinweg. „Unser Motto ist: Augen und Ohren auf im Kiez– und mit den Füßen im Dreck stehen“, sagte Rien van der Steenoven.

Die Erfolgskontrolle für die Stadtmariniers hat Rotterdam anschaulich organisiert: Ein kiezbezogener Sicherheitsindex verbindet subjektive Eindrücke der Bevölkerung mit der Polizeistatistik auf einer Notenskala. Zugegeben: Wir waren recht angetan von der zupackenden und kieznahen Art, wie man in Rotterdam Quartiersarbeit leistet. Für Berlin kann man daraus viel lernen.

Bei den Rundgängen fiel uns auf, wie intensiv man sich in der Rotterdamer Stadtverwaltung um Ordnung und Sauberkeit im öffentlichen Raum bemüht. Nach der Logik: Wenn die Straßen und Plätze verwahrlosen, dann gerät auch das soziale Miteinander aus den Fugen. So sah es selbst in den als Problemvierteln vorgestellten Stadtteilen sauber und ordentlich aus.

Besonders neugierig waren wir beim Besuch der Oranjeschool, die man gut und gerne als Brennpunktschule bezeichnen darf: 80 Prozent der Kinder dort sprechen zu Beginn kein Niederländisch. Wenn sie schon im Alter zwei Jahren die Vorschule besuchen, können die meisten mit vier Jahren Niederländisch. Ihre Lehrer stellen niederländische Schulen selbst ein, an der Oranjeschool haben viele selbst ausländische Wurzeln.

Mit einem Programm für Brennpunktschulen werden wir auch in Berlin mehr für den sozialen Aufstieg durch Bildung schaffen. Das kündigte ich in Rotterdam an. Die Brennpunktschulen werden ein eigenes Budget für das bekommen, was sie brauchen – für Sozialarbeiter, Sprachmittler oder Schulpsychologen. Das sollen sie selbst entscheiden. Ich bin dankbar für die Zustimmung zu diesem Schritt, nicht nur von Heinz Buschkowsky, sondern auch von vielen anderen aus der Berliner Landespolitik. Damit spricht die Berliner Landespolitik zum ersten Mal deutlich und mit klarer Sprache aus, dass wir Brennpunktschulen haben und dass wir energisch handeln müssen.

Bei einer Vorstellung des DOSA-Projekts lernten wir dann, wie Rotterdam mit Problemjugendlichen umgeht. Das DOSA-Projekt richtet sich an junge Menschen unter 24 und heißt übersetzt „Gemeindeorganisationen umfassender Ansatz“.

Was harmlos klingt, ist für deutsche Verhältnisse revolutionär: Daten von Jugendamt, Polizei, Schule oder JobCentern bis hin zu Verkehrsbetrieben und Wohnungsunternehmen werden bei einem Fallmanager zusammengefasst. Er koordiniert alle mit dem Jugendlichen befassten Akteure und nimmt sich dann der Probleme der Betroffenen ganzheitlich an. Vom Drogenentzug bis zur Entschuldung kann dies alles sein, was den Jugendlichen wieder von der schiefen Bahn bringt. Im Anschluss an die Intervention des DOSA-Fallmanagers folgt ein Monitoring, so dass die Betroffenen lange begleitet und nicht aus den Augen gelassen werden. Lehrreich fand ich die Intensität, mit der man sich schwierigen Jugendlichen zuwendet. Nicht nur mit klarer Ansage, sondern auch mit einem verbindlichen Fördern und Fordern.

Mit dem Rotterdamer Bürgermeister Ahmed Aboutaleb diskutierten wir über die Rolle der Städte für Europa. Die EU kümmere sich zu viel um Landwirtschaft, die Impulse für Wohlstand und eine europäische Identität gingen aber von den großen Städten aus, meinte Aboutaleb.

Auch über Integrationsfragen sprachen wir. Ahmed Aboutaleb schilderte, wie er regelmäßig mit Einwanderern zusammenkommt und sie zu Bildung und Fleiß auffordert. Dabei kann man mit klarer Ansprache, festen Grenzsetzungen und Ermutigung viel erreichen – Erfahrungen, die Heinz Buschkowsky und ich mit dem Rotterdamer Bürgermeister teilen.

Die Zutaten der Integrationspolitik Rotterdams sind eine ausgeprägte Willkommenskultur, die Vernetzung der Behörden, Kiezbezogenheit und klare Grenzen für Störer, die die Regeln des Zusammenlebens verletzen. „Wir sind Rotterdamer – nicht Marrokaner, Türken oder Suninamer.“ Dieses Motto hörten wir immer wieder – es ist so etwas wie die Kernbotschaft der erfolgreichen Integrationspolitik Rotterdams.

„Mit Augen und Ohren stehlen“ Ein Reisebericht aus Rotterdam